Bereits am Morgen treffen wir uns Mitte Dezember an meiner Wohnung in Duisburg, um noch einen Kaffee zu trinken und die Autos zu beladen. Gegen 12:30 Uhr erreichen Sina, Bine, Rike und ich, Chris, den Treffpunkt am Vorplatz des Duisburger Hauptbahnhofs. Mit unseren 4 vollgepackten Wagen, bestückt mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Hundefutter, Secondhand, Merch sowie Handschuhen, Schals und Mützen, stellen wir uns für unser obligatorisches Gruppenbild auf.

Bei trockenen 2 Grad und frischem Wind ziehen wir los. Im kompletten Bahnhof ist vorerst nicht ein einziger Bedürftiger auffindbar, da das Ordnungsamt die Menschen häufig wegen des Weihnachtsmarkts vertreibt. Zuvor habe ich erfahren, dass in dieser Woche wieder Politiker und Chefs der Deutschen Bahn angekündigt sind, um medienwirksam vor der Bahnhofsmission Spenden zu übergeben. Auf der einen Seite unterstützt man, auf der anderen vertreibt man, irgendwie paradox… Das macht mich betroffen und traurig zugleich.

Als wir auf der anderen Seite des Bahnhofs an einem Schnellrestaurant ankommen, treffen wir auf die ersten Bedürftigen. Mehrere Herren freuen sich sehr, von uns mit Handschuhen, Mützen und einer Jacke für den Winter ausgestattet zu werden. Ebenfalls freuen sie sich über eine warme Mahlzeit und Kaffee. Eine ältere Dame, die sehr gezeichnet aussieht und auch physisch keinen stabilen Eindruck macht, lehnt alles ab. Einmal mehr stellen wir fest, dass wir unsere Hilfe nur anbieten können und nicht jeder etwas annehmen möchte.

So ziehen wir weiter Richtung Straßenbahnunterführung. Dort schlafen oftmals mehrere Bedürftige – oben, wo es auch zu den Bussen geht, denn dort ist es nur von vorne offen. Wenn es um die 0 Grad sind, wird dort niemand vertrieben und zum Teil sogar geduldet, wenn der eine oder die andere dort „schnorrt“.

Wir treffen direkt auf einen alten Bekannten namens Carsten. Wenn wir unser LichtDerHoffnung hier durchführen, besuchen wir ihn immer. Auch privat versuche ich ihn mehrmals in der Woche kurz zu besuchen. In der Vergangenheit hat er häufig für die Passanten auf seiner Gitarre gespielt. Diese wurde ihm leider in der Nacht gestohlen. Er freut sich auch heute sehr über unsere Gaben. Leider haben wir in Größe 46 keine Schuhe dabei. Diese werde ich ihm nachträglich bringen, sobald ich eine passende Schuhspende erhalte, damit er vor Weihnachten vernünftiges Schuhwerk hat.

Jetzt machen wir uns auf den Weg zur Stadt in die Königstraße, wo derzeit auch der Weihnachtsmarkt stattfindet. Auf dem Weg treffen wir auf zwei junge Männer. Sie sind schätzungsweise Anfang bis Mitte 20. Der eine hat einen Schlafsack auf dem Rücken. Sie sehen für uns auf den ersten Blick nicht nach Menschen aus, die auf der Straße leben. Ihre Gestik und Mimik sind jedoch ausschlaggebend für uns, sodass wir sie ansprechen: „Können wir euch etwas Gutes tun?“ Daraufhin sind sie sehr gesprächig und freuen sich über unsere Winterausstattung für sie. Einer von beiden erzählt uns, dass er sehr gerne ein Zelt hätte. Wir wollen uns umhören, ob wir eins auftreiben können, sagen wir ihm.

Nun in der Innenstadt angekommen, merken wir, dass es bis zum ersten Hotspot an der Sparkasse viel weniger Bedürftige sind als sonst. Ein Mann vor dem Einkaufszentrum erklärt uns, dass in diesem Jahr sehr viele verstorben sind. Der Rest sei momentan unterwegs an Ausgabestellen. Auch wurden einige Orte durch das Ordnungsamt geräumt, sodass sich die Leute andere Plätze suchen mussten. Sina macht ihm eine Terrine sowie einen Kaffee und Bine sucht ihm passenden Anziehsachen heraus, während Rike ihn mit Hygieneartikeln versorgt und ich ihm beim Gespräch mein offenes Ohr schenke. Zum Abschluss bekommt er noch eine Tüte mit Süßigkeiten überreicht. So arbeiten wir Hand in Hand. Das Team harmoniert wirklich gut und wir verstehen uns fast blind.

An der Sparkasse angekommen treffen wir auf eine Gruppe Männer: Einer sitzt im Rollstuhl, einer schiebt einen weiteren Rollstuhl. Mich beeindruckt sehr, wie diese Gruppe zusammenhält und wie freundlich sie zu uns sind. Über Secondhand, Handschuhe und Mützen sind sie sehr erfreut, sowie über eine warme Mahlzeit. Wir erhalten Hinweise, wo wir weitere Bedürftigen antreffen und gehen weiter. Etwas später geht mir eine Situation besonders nahe: Ich frage einen Mann, der mit einem blassen grauen Blick traurig vor sich hinschaut: „kann man dir etwas Gutes tun?“ Und er antwortet lediglich „Ja, mehr Lebenszeit!“.

Ein schöner Randfakt ist, dass mein elfjähriger Neffe Ben heute nach Schulschluss dazu kommt, um uns zu unterstützen. Er zieht einen Wagen und schaut sich unsere Aktion und Taten an. Zuvor ist er bereits schon mehrmals mit mir allein durch die Straßen gegangen, um verschiedenen Menschen zu helfen. Wenn er mir erzählt, dass er alleine mit seinen Pfandflaschen öfters mal den Bedürftigen eine Freude macht oder Carsten und anderen von seinem Taschengeld Kleingeld gibt, bewegt mich das sehr.

Im Innenstadtbereich treffen wir noch einzelne Bedürftige, die vor Läden sitzen. Eine sehr freundliche Dame mit ihrem Hund ist sehr erstaunt und glücklich, dass wir Hundefutter dabeihaben, das wir ihr geben können. Weiter geht es zum nächsten Treffpunkt von Bedürftigen vor einem Supermarkt, wo wir noch ein paar Herren antreffen, denen wir mit Jacken, Obst und Kaffee eine Freude machen. Da nun unsere Wagen nur noch etwa halb gefüllt sind, machen wir uns auf den Weg zum Kantpark – einige sagen „Platte“ -, dem beliebtesten Treffpunkt unter den Bedürftigen.

Dort angekommen stellen wir unsere Wagen so auf, dass wir sicher stehen und eine reibungslose Ausgabe gewährleisten können. Aus allen Ecken werden wir gesehen und viele kommen zu uns. Um die 20 Menschen versammeln sich um uns herum. Sie freuen sich sehr über das Merch, da durchaus Onkelzfans unter ihnen sind. Man hört immer wieder die Sätze wie: „…so toll, dass ihr da seid“, „Kommt bitte wieder“, „Die Onkelz sind so toll“.

Hier werden unsere Wagen dann wirklich ziemlich leer und wir können fast allen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Persönlich bewegt mich sehr, als am Ende eine junge Frau bei uns steht. Sie sieht sehr gezeichnet aus, ihre Klamotten und ihre Schminke lesen sich wie ein Kapitel aus einem Drama, in dem eine Frau in ihrer dunkelsten Zeit steckt. Ich erkenne sie wieder, denn mit ihr konsumierte ich vor 10 Jahren in einer Nacht, die niemals enden wollte. Wir kleiden sie neu ein, geben ihr Lebensmittel und Hygieneartikel. Die Begegnung mit ihr versetzt mir einen Flashback: Dämonen der Sucht und Bilder meiner Vergangenheit kommen hoch. Es gelingt mir, mich zu stabilisieren und ich schaffe es sogar, positive Gedanken zu formulieren. Ich bin so froh, die Sucht hinter mir gelassen zu haben; dass ich heute auf der anderen Seite stehe. So hoffe ich für alle dort draußen, dass die Stunde des Siegers irgendwann auch für sie kommt.

Wir kehren zurück zum Parkhaus und können auf dem Weg noch einigen Menschen eine Freude bereiten. Mit fast leeren Wagen beladen wir die Autos und lassen anschließend den Tag bei einem gemütlichen Zusammensein beim Italiener Revue passieren. Ein Fazit ziehen wir aber jetzt schon: Positiv an unserer Licht der Hoffnung-Aktion ist heute, wie oft wir als B.O.S.C. für unser Tun gelobt werden. Angefangen bei meiner Nachbarin, dem Ordnungsamt, über Passanten und Passantinnen bis hin zur Polizei. Das lässt uns bestärkt und motiviert nach vorne schauen und einen nächsten Termin ins Auge fassen, sodass wir den Menschen auf Duisburgs Straßen erneut etwas Licht und Hoffnung schenken können.

Wenn auch Du Lust hast, eine solche Aktion zu unterstützen oder sogar selbst zu planen und durchzuführen, melde Dich unter https://mein.bosc.de an.