Bei den Onkelz lautet eine Zeile „Nonkonformität heißt unser Weg“, im dritten Reich bedeutete Nonkonformität den Tod. Juden, Sinti und Roma, politisch Andersgesinnte, Homosexuelle oder körperlich und geistig Behinderte – sie alle waren während des Nationalsozialismus von 1933-1945 den Gräueltaten des Unrechtsstaates schutzlos ausgeliefert. Allein die Schoah forderte 6 Millionen Opfer, eine unvorstellbare Anzahl Menschenleben. Eine abstrakte, eine unglaubliche Zahl.
Ende August letzten Jahres hat sich eine Delegation des B.O.S.C. in Hamburg-Altona auf den Weg gemacht, um mithilfe der „Stolpersteine-App“ Stolpersteine zu finden und diese zu reinigen. Die Jahreszeiten mit ihren Witterungen, die Fußtritte der Passanten, Zigarettenstummel und sonstiger Unrat – so manch ein Stein war derart verdreckt, dass die Namen zu verblassen drohten. Schnell war unseren Mitgliedern klar, dass ein einfaches Reinigen nur mit Spüli unmöglich und nicht ausreichend ist. Mit Essigreiniger, Wasser, Schwämmen und Kraftaufwand wurde der Dreck entfernt, ehe die Stolpersteine mit Messingreiniger auf Hochglanz poliert wurden. Hierdurch wurde eine Schutzschicht aufgetragen, die künftigen Schmutzanhaftungen entgegenwirken soll. Und somit auch dem Vergessen.
Altona war vor 1933 stark jüdisch geprägt und gehörte noch nicht zu Hamburg. Über 300 Jahre lang gab es in hier eine große jüdische Gemeinschaft. 1926 etwa hatte Altona 200.000 Einwohner, von denen 2000 Juden waren. Das änderte sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und die damit einhergehenden Repressionen. Zunächst kam es zum Boykott der jüdischen Geschäfte, ab 1935 wurden die Juden durch die Nürnberger Gesetze zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes, in dem einige Gebiete zwischen Preußen und Hamburg getauscht und unter anderem Altona Hamburg einverleibt wurde, kam es zur Auflösung der jüdischen Gemeinde. 1938 kam es kurz nach der „Reichspogromnacht“ zur Demolierung der „Großen Synagoge“, die schließlich 1943 einem Bombenangriff zum Opfer fiel.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass viele Stolpersteine Namen aufweisen, die an den jüdischen Teil der Bevölkerung erinnern. Und die heute nur noch selten in Deutschland vorzufinden sind. Gleichzeitig erinnern sie aber auch viele nicht-jüdische Opfer des Nationalsozialismus, die etwa im Rahmen der NS-Euthanesieprogramme in sogenannte Heilanstalten deportiert und anschließend ermordet wurden. Neben den Todeskommandos wurde auch aus Hamburg heraus der industrielle Massenmord an Menschen betrieben und ab 1942 mit Zügen in den sicheren Tod geschickt. Weitere Hamburger gelangten über Umwege über die Ghettos dorthin.
Wenn man sein Augenmerk auf die Steine legt und die Namen und ihre Schicksale liest, beginnt gleichzeitig eine Beschäftigung mit den Hintergründen. Ein Stolperstein in Hamburg-Altona erinnert beispielsweise an Willi Hans Miersch. „JG. 1907. Erschossen 17.7.1932. Altonaer Blutsonntag“ sind die weiteren Informationen, die man entnehmen kann. 1932. Diese Jahreszahl lässt einen aufhorchen. Das war immerhin ein Jahr, bevor Hitler an die Macht kam. Mit „Altonaer Blutsonntag“ ist ein SA-Marsch und seine Folgen überschrieben. 7000 SA- und SS-Teilnehmer versammelten sich damals zwischen Altonaer Bahnhof und Rathaus, um die Werbetrommel für den Nationalsozialismus zu rühren. Nachdem der Demonstrationszug mit Gegenständen aus den Reihen der Gegendemonstranten beworfen wurde, prügelte die SA auf diese ein. Kurz danach fielen Schüssen, zwei SA-Leute waren tödlich getroffen. Während die Polizei die SA in Richtung Bahnhof drängte, vertrieb sie die Bevölkerung von den Straßen und führte Hausdurchsuchungen und Verhaftungen von 90 Personen durch. Es kam zu weiteren Schießereien, an denen am Ende 16 Personen durch die Polizei getötet wurden. Die Auseinandersetzung mit den Steinen führt einem die Schrecken der tumultartigen Zeiten deutlich vor Augen. Insbesondere, wenn man an die folgenschweren Jahre nach 1932 denkt.
Insgesamt sind in Hamburg 6093 Stolpersteine eingelassen, allein in Altona über 330. 53 der zu verblassen drohenden Erinnerungen und Mahnmale konnten vom B.O.S.C an diesem Augusttag gereinigt werden.
Wenn auch Du Lust hast eine solche Aktion zu unterstützen oder gar selbst zu planen und durchzuführen, melde Dich unter https://mein.bosc.de an.