Bochum ist für uns vom B.O.S.C. kein Neuland mehr. Ich, Chris, kenne die Stadt und auch ihre dunklen Ecken aus verschiedenen Unterstützungsaktionen sehr gut. Pünktlich um 11 Uhr trifft mein Neffe bei mir ein. Eigentlich ist er nur mit dem Zug mitfahren, um mir beim Tragen zu helfen. Kurzfristig überlegt er es sich aber anders und geht nun ganz mit. Das freut mich sehr, da er die Straße hinter sich hat und auch eine Zeit lang Gast in einer Einrichtung für obdachlose Straßenkinder in Essen war. Heute ist er auf einem sehr guten Weg.
Wir packen gemeinsam und brechen auf in Richtung Hauptbahnhof. Vor Ort kaufen wir noch Terrinen und frische Lebensmittel. Um 14 Uhr kommen wir bei unserem Mitglied Bine an, die nur wenige Minuten vom Rathaus entfernt wohnt. Hier sind wir zum Wasserkochen verabredet. Kurze Zeit später kommt auch Patrick mit seinem prall gefülltem Auto dazu. Gegen 15 Uhr ziehen wir dann mit zwei gut gefüllten Bollerwagen los, darin: Heiße Getränke, Terrinen, Bananen, Dosenfisch, Schokobrötchen, Hygieneartikel, Hundefutter, Second-Hand-Artikel und Merchandise der Onkelz sowie von Stephan Weidner, der gerade mit seinem Soloprojekt „Der W“ in der Stadt ist.
Zuerst steuern wir das Einkaufszentrum „Drehscheibe“ an, wo wir bereits die ersten Bedürftigen antreffen: Zwei Männer, die sich sehr über einen Kaffee und ein paar nette Worte freuen. Weiter geht es in die Fußgängerzone, wo wir gleich einen älteren Herrn mit seinem kleinen Hund vorfinden. Ihm bereiten wir mit Hundefutter und Kleidung, unter anderem einem Onkelz-Schal, eine große Freude. Von der Seite nähert sich uns ganz freundlich eine junge Frau, die sich sehr über ein paar Kleidungsstücke freut, besonders über die „Der W“-Shirts. Sie spricht kurz an, dass sie bereits ganz früh erkrankte. Wir sind uns eigentlich fremd, durch die Geschichten und das Vertrauen aber wieder sehr nah. Als wir weitergehen, hören wir immer wieder die Rufe: „ihr seid klasse“ und „schön, dass es euch gibt!“.
Nur ein kurzes Stück weiter spricht uns schon die nächste Frau an. Sie ist mittleren Alters, sitzt auf ihrer Decke und hat ebenfalls einen kleinen Hund bei sich. Auch ihr können wir einiges übergeben. Besonders freut sie sich über die Damenkleidung, die ihr sehr gut passt. Bei der Verabschiedung hat sie ein großes Strahlen im Gesicht. Als ich mich umdrehe, um zu schauen, wo mein Neffe ist, sehe ich mehrere Bedürftige mit einem schwarz-weißen Onkelz-Schal auf ihrer Decke und einem Lachen in ihren Gesichtern.
Wir steuern den Bahnhof an. Auf dem Vorplatz treffen wir auf eine alte Bekannte mit ihrem Einkaufswagen. Diese liebe Frau ist etwas ganz Besonderes. Ich kenne sie schon lange. Ab und zu kommt sie in Frauenhäusern unter. Es macht mich traurig zu sehen, wie sehr sie seit unserem letzten Treffen abgebaut hat. Wir kleiden sie neu ein und geben ihr eine warme Mahlzeit. Sie freut sich immer besonders über Hygieneartikel. Als wir gehen, fragt sie immer wieder: „Wie kann ich es wieder gut machen?!“ Bine antwortet freundlich: „Das machst du doch mit einem Lachen!“.
Die Gruppe harmoniert super: Bine und Patrick sind ein klasse Team, mein Neffe macht tolle Bilder und zieht für uns den Wagen. Die ersten Gespräche mit den Bedürftigen machen ihn stolz. Auf der Zugfahrt hierher sagte er zu mir „Mit dem einen Mann, der im Duisburger Tunnel auf der Straße lebt, habe ich vor Jahren hier auf dem Boden Drogen genommen. Heute Abend werde ich ihm bringen, was wir übrig haben“.
Wir erreichen den Buddenbergplatz. Dieser liegt hinter dem Hauptbahnhof und ist ein bekannter Hotspot. Eine große Gruppe von Frauen und Männern mittleren Alters begrüßt uns. Sie fragen sofort, in wessen Namen wir unterwegs sind. Sie alle haben das Bedürfnis, uns ihre Geschichten und von ihren Verbindungen zum Onkelz-Kosmos zu erzählen. Viele freuen sich über eine warme Mahlzeit, da sie lange nichts Warmes mehr hatten. Dennoch sind einige dabei, die ehrlich sagen, dass sie nichts essen wollen; ihre flüssige Nahrung würde reichen. Sehr beliebt sind hier die Second-Hand-Kleider und natürlich unsere Merchandise-Artikel. Die T-Shirts werden direkt angezogen, was ich in anderen Städten eher seltener sehe. Inzwischen sind etwa 20 Bedürftige auf dem Platz.
Celli, ein weiteres B.O.S.C.-Mitglied, hat sich direkt nach seiner Arbeit auf den Weg gemacht und stößt zu uns. Er fügt sich gut und schnell in die Gruppe ein und hilft, wo er nur kann. Nun wechseln wir auf die andere Seite des Platzes, um allen gerecht zu werden. Erneut kommt große Freude auf: Wir treffen weitere Menschen, die die Onkelz lieben. Als sie hören, dass „Der W“ in „ihrer“ Stadt Bochum zu Gast ist, sind sie stolz. Eine positive Überraschung erlebe ich bei einer jungen Frau: Sie ist jetzt clean und das sieht man ihr auch an. Zwei der Anwesenden, die ich aus meiner eigenen dunklen Vergangenheit kenne, möchten ein gemeinsames Foto mit mir. Diese Begegnung soll mich später in der Christuskirche zu Tränen rühren.
Viele Frauen freuen sich riesig über die „Fuck off“-Shirts von Stephan. Es fallen immer wieder Sätze wie „ihr seid klasse!“, oder „geil, was ihr macht!“. Nachdem wir Abschied genommen haben, blicken wir zurück auf einen Platz mit verschiedensten Seelen, die alle unterschiedliche Schicksalsschläge erlitten haben und jetzt neue Kleidung tragen, strahlen und Stimmung machen. Mit dem Satz „Bochum, wir kommen wieder!“ gehen wir zurück zu Patricks Auto und packen die fast leergefegten Bollerwagen ein.
Für mich war das heute ein sehr wichtiges und tolles Licht der Hoffnung! Am Beispiel meines Neffen und der jungen Frau am Buddenbergplatz sehe ich: Es lohnt sich, an Menschen zu glauben. Ob oben oder unten, jeder Mensch hat das Recht, wahrgenommen und gut behandelt zu werden.
Mindestens die Welt verändern!
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